Märchenstunde beim „Spiegel“? Ja wer hätte das gedacht! Die nette Geschichte über die erfundenen Märchen des preisgekrönten Journalisten Herrn Claas Relotius zeigen uns einmal mehr die Achillesferse der sich gerne selbst feiernden freien Presse. Freiheit bedeutet nämlich auch Verantwortung, zumindest dann, wenn man von einer Qualitätspresse oder Qualitätsjournalismus sprechen möchte, der glaubhaft und meinungsbildend sein soll.
Da frage ich mich doch, wie leicht ein Journalist zu den höchsten Preisen und Ehren gelangen kann. Zum einen spricht das natürlich Bände über die Wertigkeit der verliehenen Preise, zum anderen sollte man aber auch berücksichtigen, dass die Kreativität und der Ideenreichtum des Herrn Relotius auch nicht ganz ohne waren, was ja auch wiederum preiswürdig sein kann. Wie frei eine Medienlandschaft sein kann, die im Wesentlichen von einer Hand voll Konzernen diktiert wird, deren Verflechtungen innerhalb der Politik durchaus Fragen aufwerfen könnte, ist sicherlich ein ganz anderes Thema. Letztlich sind die Fragen, die man sich aus diesen Skandal stellen sollte im Grunde die üblichen Verdächtigen: Wie konnte das passieren? Wie kann man dies zukünftig verhindern? Was sind die Konsequenzen daraus? Die Beantwortung hängt natürlich wesentlich davon ab, inwieweit die Beteiligten bereit sind, Konsequenzen und Veränderungen mitzutragen. Die Vergangenheit und meine eigenen Erfahrungen zeigen allerdings, dass man sich da wenig Illusionen hingeben sollte. Hauptgründe dafür sind, dass die Medienlandschaft relativ wenig kontrolliert wird und damit keine Konsequenzen für Falschberichte zu fürchten hat und natürlich, dass sich die Presse in wenigen Händen kumuliert. Jeglicher Versuch einer Kontrolle oder Sanktionierung würde reflektorisch einen Aufschrei bzw. den Verdacht der Zensur nach sich ziehen. Wenn es aber keine Kontrolle von außen gibt, muss Selbstkontrolle so etwas verhindern können. Angeblich sollen die Sicherungssysteme hervorragend sein und man gibt sich bemüht, den Fall aufzuklären. Sicherlich wird auch pflichtgemäß der eine oder andere Kopf rollen. Ich persönlich habe meine Zweifel, dass das System sich zum besseren wendet. So lange Journalisten Pseudopreise wichtiger sind und so lange Auftraggeber für Thesenjournalismus direkt oder indirekt bezahlen, wird sich auch nichts ändern. Gerade in medizinischen Fragen glänzt Presse und TV ist durch sachkompetente Einfältigkeit. Gerne wurden auch populistische Reförmchen durch journalistische Auftragsarbeiten flankiert. Von daher ist es also nicht nur das System „Spiegel“, sondern ein medienübergreifendes. Letztlich geht es auch da um das liebe Geld. Ohne Quoten läuft auch da nichts. Berichte über Gesundheit, Gastronomie, den Bau oder andere Lückenfüllerthemen mit verorteteten oder tatsächlichen Problemen haben daher dann ja auch meist effekthascherische Bezeichnungen wie Abzocke, Betrug oder ähnlich abwertendes im Titel. So stellt man sich eben Objektivität vor, das beginnt schon im Titel. Und da sich viele Journalisten für verkannte Pulitzer-Preisträger halten, ist die Aufmachung mancher Reportagen auch entsprechend reißerisch aufgeblasen. Schnelle Schnitte und versteckte Actionkameras sind da schon Pflicht.
Wie man auch erkennt, ist die Aufarbeitung des Skandals von anderen Medien relativ schmallippig erfolgt. Zweifellos kann man dem „Spiegel“ zubilligen, dass er freiwillig den Skandal publik machte. Man kann aber beruhigt davon ausgehen, dass die Sache früher oder später auch so ans Licht gekommen wäre. Damit ist das Vorpreschen des Spiegels also eher eine Verteidigungsstrategie und eine Flucht nach vorne gewesen. Es fällt auch auf, dass andere Zeitungen nur relativ dezent berichten. Hier und da schimmert etwas Selbstkritik durch, der eine oder andere Fehler wird zugegeben. Im Großen und Ganzen ist es aber wie bei ertappten Politikern oder Fremdgehern, es wird nur gestanden, was offensichtlich ist. Sicherlich greift dort auch das Sprichwort, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Die NZZ bringt es dabei perfekt auf den Punkt.
Dennoch ist für mich ehrlich gesagt gar nicht dieser Skandal das eigentliche Problem, Hochstapler gibt es in allen Berufen, auch in unseren. Daher sollte man mit Häme zurückhaltend sein. Die eigentlichen Skandale sind für mich die täglichen Ungenauigkeiten, Falschheiten und rhetorischen Tricksereien, die der tendenziellen und einseitigen Berichterstattung erst ihre Wirkung verleihen. Hier hatte ich bereits ausführlicher eine Ente kommentiert, letztes Jahr hatte ich auch eine ähnliche Diskussion mit dem RBB-Chef über einen legendären üblen „Abzock“-Artikel des RBB gehabt. Der war so schlecht recherchiert, dass noch nicht einmal die Behandlungsrichtlinien bekannt waren, die dem Zahnarzt quasi vorschreiben, wie eine Behandlung zu erfolgen hat und die bei Nichteinhaltung empfindliche Regresse zur Folge haben, die den Behandler zur Rückzahlung der kompletten Behandlungskosten verpflichten. Es kam ja noch nicht einmal die Gegenseite zu Wort. Dies ist für mich der eigentliche Skandal, diese niedrigen Standards der Presse. Aber hey, wäre die Presse perfekt, hätte ich ja hier viel weniger zu schreiben. Abgesehen davon sind meine Standard ja auch nicht über allen Zweifel erhaben.